Vigilanz in der Medizintechnik

Vigilanz: Meldung von Vorkommnissen mit Medizinprodukten an das BfArM oder zuständige Behörde nach MEDDEV MDR und IVDR
Lukas Losigkeit - Experte für Vigilanz und Meldung von Vorkommnissen an zuständige Behörden (BfArM)

Lukas Losigkeit

CEO & Principal Consultant

Was bedeutet Vigilanz?

Vigilanz als Begriff bedeutet so viel wie Daueraufmerksamkeit.

Auf Medizinprodukte und IVDs bezogen geht es darum, dass die Hersteller ein Vigilanz-System implementieren, das ihnen ermöglicht, meldepflichtige bzw. schwerwiegende Vorkommnisse und Trends aus erfassten Daten zu erkennen und zu melden.

Die Daten werden beispielsweise im Rahmen der Reklamationsbearbeitung oder der Überwachung nach dem Inverkehrbringen (post-market surveillance, PMS) gesammelt.


Wie erfährt man von solchen Vorkommnissen?

Häufig werden Hersteller durch Kundenreklamationen auf schwerwiegende Vorkommnisse aufmerksam. Es ist aber auch möglich, dass eine Behörde bezüglich eines solchen Vorkommnisses kontaktiert wurde und sich dann an den Hersteller wendet.

Grundsätzlich können hier alle Daten aus der Überwachung nach dem Inverkehrbringen auch Informationen über schwerwiegende Vorkommnisse enthalten – und müssen somit gemeldet werden.

Nähere Informationen zu Datenquellen finden Sie im Blogbeitrag zur Überwachung nach dem Inverkehrbringen.


Was passiert, wenn ein meldepflichtiges Vorkommnis mit dem eigenen Produkt auftritt?

Ein schwerwiegendes Vorkommnis muss in jedem Fall gemeldet werden. Wenn Zweifel bestehen, ob es sich um ein solches Ereignis handelt, muss sicherheitshalber dennoch gemeldet werden.

Lieber einmal zu oft melden, als einmal zu wenig!

Medizinprodukte können Patienten helfen, aber sie können auch schaden. Das ist keine Schande – Leider fassen das viele Hersteller genau so auf. Es liegt nicht zwangsläufig am Medizinprodukt selbst oder daran, dass es schlecht designt wurde. Jeder Hersteller hat im Rahmen seines Risikomanagements festgestellt, dass gewisse Risiken mit dem Produkt verbunden sind. Schäden können somit in Abhängigkeit ihrer jeweiligen Wahrscheinlichkeit auftreten. Woher kommt also die Überraschung, wenn doch mal etwas passiert?

Es gibt keinen Nutzen ohne Risiko!

Wir möchten an dieser Stelle natürlich nicht bagatellisieren, dass Patienten zu Schaden kommen. Das soll niemand auf die leichte Schulter nehmen. Aber abhängig vom Produkt ist es auch nicht realistisch, dass keines der Risiken zu einem Schaden führt.


Was muss wann gemeldet werden?

Die MDR beinhaltet das Wort Vigilanz an 28 Stellen und schreibt beispielsweise davon, dass das Qualitätsmanagement-System des Herstellers "Verfahren für die Meldung von schwerwiegenden Vorkommnissen und Sicherheitskorrekturmaßnahmen im Feld im Rahmen der Vigilanz" beinhalten muss [Artikel 10, allgemeine Pflichten der Hersteller]. So ein Qualitätsmanagement-System nach Artikel 10 muss jeder Hersteller implementiert haben - auch die, die lediglich Medizinprodukte der Klasse 1 herstellen. Ohne Vigilanz-Prozess geht es also nicht.

Maßgeblich relevant für den Hersteller und seinen Vigilanzprozess ist Artikel 87 zur Meldung von schwerwiegenden Vorkommnissen und Sicherheitskorrekturmaßnahmen im Feld. Darin wird beschrieben, dass jeder Hersteller, der Medizinprodukte auf dem Unionsmarkt bereitstellt, bestimmte Ereignisse melden muss:

  • Meldung spätestens nach 15 Tagen: "Jedes schwerwiegende Vorkommnis
    im Zusammenhang mit Produkten, die auf dem Unionsmarkt bereitgestellt werden, außer erwarteter Nebenwirkungen, die in den Produktinformationen eindeutig dokumentiert, in der technischen Dokumentation quantifiziert und Gegenstand der Meldung von Trends gemäß Artikel 88 sind;"
  • Zur Meldung schwerwiegender Vorkommnisse gibt es jedoch die folgenden Einschränkungen bzw. verschärften Fristen:

      Meldung spätestens nach 2 Tagen: "[...] im Falle einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Gesundheit"

      Meldung spätestens nach 10 Tagen: "[...] im Falle des Todes oder einer unvorhergesehenen schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustands einer Person"

  • "jede Sicherheitskorrekturmaßnahme im Feld im Zusammenhang mit auf dem Unionsmarkt bereitgestellten Produkten, einschließlich der in Drittländern ergriffenen Sicherheitskorrekturmaßnahmen im Feld in Bezug auf ein Produkt, das auch auf dem Unionsmarkt legal bereitgestellt wird, sofern sich der Grund für die Sicherheitskorrekturmaßnahmen im Feld nicht ausschließlich auf das Produkt beziehen, das in dem betreffenden Drittland bereitgestellt wird."
    In diesem Fall erfolgt die Meldung vor der Durchführung der Maßnahme, sofern es keine dringenden Gründe dagegen gibt.

An wen muss man melden?

In Deutschland wird aktuell an das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) gemeldet. Grundsätzlich unterscheidet sich aber, je nach Mitgliedstaat der Europäischen Union, an wen gemeldet werden muss.

Zukünftig wird das Vigilanz-Modul in EUDAMED verfügbar sein. Meldungen erfolgen dann darüber.


Vorkommnis an das BfArM melden - Wie geht das?

Aktuell erfolgt die Meldung von schwerwiegenden Vorkommnissen unter MDR und IVDR mittels MIR-Formblatt, dieses können Sie hier herunterladen. MIR steht dabei für Manufacturer Incident Report"

Nach dem Download können viele Browser das Dokument nicht öffnen. Sie sollten die Datei daher manuell mit einem PDF-Programm öffnen und bearbeiten.

Das Dokument hat 12 Seiten. Um es vollständig auszufüllen, sind unter Umständen Informationen nötig, die nicht sofort verfügbar sind. Beachten Sie daher, dass Sie zur Einhaltung der Meldefristen auch vorläufige bzw. initiale Meldungen machen können. In diesen Fällen schicken Sie eine nicht vollständig ausgefüllte Meldung ab und reichen fehlende Informationen später nach.

Es gibt unterschiedliche Arten von Meldungen:

  • Kombinierte initiale und finale Meldung
  • Initiale Meldung
  • Follow-up Meldung
  • Finale Meldung

Entnehmen Sie der folgenden Übersicht hier, welche Informationen nach Art der Meldung nötig sind.


Das elektronische System der EU

Die Verordnung beschreibt ein "elektronisches System für Vigilanz und für die Überwachug nach dem Inverkehrbringen" in Artikel 92 der MDR. Gemeint ist damit ein Modul in EUDAMED, das es Stand heute (04.01.2023) noch nicht gibt. Es befindet sich derzeit in der Entwicklung und wird zukünftig verfügbar sein.

Über dieses Modul von EUDAMED sollen Hersteller von Medizinprodukten die folgenden Informationen bereitstellen:

  • Meldungen von schwerwiegenden Vorkommnissen
  • Meldungen von Sicherheitskorrekturmaßnahmen im Feld
  • periodische Sammelmeldungen
  • Sicherheitsberichte gemäß Artikel 86 (PSUR)
  • Sicherheitsanweisungen im Feld

Das Modul wird von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und EU-Kommission darüberhinaus zum Austausch von Informationen untereinander genutzt.

Nachdem ein Hersteller Daten in EUDAMED eingetragen hat, werden diese der zuständigen Behörde und benannten Stellen zur Verfügung gestellt. Benannte Stellen bekommen dabei Zugriff auf die Daten von Produkten, für die sie eine Konformitätsbescheinigung ausgestellt haben. Ihr Zugriff ist also eingeschränkter im Vergleich zum Zugriff der Behörden.

Eine neue Funktion im Rahmen einer verbesserten Transparenz ist ein öffenlicher Zugang zu den Vigilanzdaten. Darüber können zukünftig Angehörige von Gesundheitsberufen oder auch die Öffentlichkeit Vigilanzdaten in EUDAMED einsehen. Vorher war ein Zugriff auf Vigilanzdaten zu Vorkommnissen und Rückrufen beispielsweise bei den einzelnen Behörden wie dem BfArM (Deutschland) oder FAGG (Belgien) zwar möglich, aber wenig komfortabel. Durch ein EU-weites Modul mit öffentlichem Zugriff wird an dieser Stelle tatsächlich eine erhöhte Transparenz geschaffen. Fraglich ist natürlich trotzdem, ob sich für den 0815-Patienten dadurch etwas praktisch verändert. In der Regel wird ein Patient keine Kenntnis von EUDAMED haben. In Artikel 87 (10) der MDR wird den Mitgliedstaaten allerdings die Aufgabe übertragen, mittels geeigneter Maßnahmen wie beispielsweise einer Informationskampagne Patienten zu ermutigen, schwerwiegende Vorkommnisse zu melden. Durch diese Maßnahmen könnte es erreicht werden, dass EUDAMED wirklich beim Patienten "ankommt".


Behörden und Vigilanz

Gehen bei einer zuständigen Behörde Meldungen von Angehörigen der Gesundheitsberufe, Anwendern oder Patienten über mutmaßliche schwerwiegende Vorkommnisse ein, unterrichtet diese Behörde den Hersteller des Produkts. Dieser muss anschließend prüfen, ob es sich wirklich um ein schwerwiegendes Vorkommnis handelt oder nicht. Falls ja, muss dieses schwerwiegende Vorkommnis gemäß üblicher Verfahren gemeldet werden. Also auch über EUDAMED, sobald es verfügbar ist.

Wenn der Hersteller nicht der Meinung ist, dass es sich um ein schwerwiegendes Vorkommnis handelt, so ist diese Entscheidung zu begründen und muss mit der Behörde abgestimmt werden. Sollte es hier zu keiner Einigung kommen, überwiegt die Meinung der Behörde und es muss trotzdem gemeldet werden.

"Die Kommission richtet in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten Systeme und Verfahren ein, mit denen die Daten des [elektronischen Systems] aktiv überwacht werden können, um Trends, Muster oder Signale in den Daten zu ermitteln, die möglicherweise neue Risiken oder Sicherheitsprobleme erkennen lassen. Wird ein zuvor unbekanntes Risiko ermittelt oder führt die Häufigkeit eines erwarteten Risikos zu einer erheblichen und nachteiligen Änderung der Nutzen-Risiko-Abwägung, so unterrichtet die zuständige Behörde oder gegebenenfalls die koordinierende zuständige Behörde den Hersteller [...], der daraufhin die erforderlichen Korrekturmaßnahmen ergreift." [Artikel 90, MDR]

Demnach sollen die Daten in EUDAMED systematisch überwacht und analysiert werden. Es ist offen, ob dabei Datensätze manuell von Mitarbeitern der Behörden überprüft werden müssen oder ob Software, ggf. sogar KI-basiert, unterstützt. Sobald uns dazu nähere Informationen vorliegen, werden wir dies hier ergänzen.

Besonders interessant in diesem Absatz sind die Punkte "zuvor unbekanntes Risiko". Um festzustellen, ob ein Risiko (für den Hersteller) zuvor unbekannt war, müsste die Risikoanalyse der jeweiligen technischen Dokumentation des Produkts geprüft werden. Es ist also völlig unklar, wie eine Behörde festlegen soll, ob ein Risiko unbekannt war und ob eine Korrekturmaßnahme sinnvoll ist. Selbst bei Produkten, die mit Einbeziehung einer benannte Stelle zugelassen wurden, liegen so detaillierte Daten zu den jeweiligen Risikoanalysen nicht in EUDAMED ab. Es bleibt also spannend, wie dieser Teil der MDR in der Praxis umgesetzt werden soll.